Übersetzt aus dem Französischen: Caroline Girod
Die deutsche Übersetzung-Veröffentlichung am 20. März 2022 Potsdam
Alles begann am trüben und grauen 19. November 2021. Die Stunden schleppten sich mühsam durch die Galerie (1),
in der ich arbeitete, und die Besucher waren nicht an jeder Ecke
anzutreffen. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Plötzlich ging die
Tür auf. Ein Mann trat ein.
Wenn
man das so sagt, klingt es wie der Anfang eines Films. Aber sind Filme
nicht von der Realität inspiriert? Beziehen sie nicht ihre Grundlagen
aus der Realität? In meinem Fall handelt es sich nicht um einen Film,
ein Buch oder eine Serie, sondern um den Beginn einer schönen und
überraschenden Begegnung. Es wird oft gesagt, dass interessante
Begegnungen in den unwahrscheinlichsten Momenten stattfinden, wenn man
sie am wenigsten erwartet. Jetzt erkenne ich die Wahrhaftigkeit und die
Tiefe dieses Satzes. Der Mann, der an diesem Tag in die Galerie kam, war Otgonbayar Ershuu, besser bekannt unter seinem
Künstlernamen Otgo. Er trat sanft und leise ein, wie eine Pusteblume, die geräuschlos auf dem Gras landet. Er nahm sich die Zeit sich anzusehen, was sich in dem kleinen Laden
der Galerie befand: Bilder, Accessoires, Schmuck, Bücher,
Kunstgegenstände. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt an meinem Computer
und meine Kollegin Maria arbeitete nicht weit von mir entfernt am
zentralen Schreibtisch. Nachdem er sich bei den aktuellen Ausstellungen
aufgehalten hatte, trat er an den Schreibtisch, um mit Maria zu
sprechen. Normalerweise stellen die Leute, die in die Galerie kommen,
die gleichen Fragen: Wie viel kostet dieses oder jenes Objekt? Ist die
Ausstellung kostenpflichtig? Wer ist der Künstler, der diese Skulptur
oder dieses Gemälde geschaffen hat? Meistens sind es Fragen, die
keinen Anlass zu langen Gesprächen geben und nur Antworten
ermöglichen, die aus Gewohnheit schon vorher erarbeitet wurden.
Selbstverständlich immer mit einem Lächeln. "Höflichkeit geht vor"
ist eine Regel, auch wenn die Antwort immer die gleiche sein muss. Doch
der Mann, der gerade eingetreten war, stellte nicht diese Art von
schnellen Fragen. Er war aus einem anderen, vielleicht interessanteren
Grund an diesen Ort gekommen? Nein, Otgo war nicht da, um den Preis
für diesen feinen Seidenschal aus Malta oder diese handgefertigten
Ohrringe zu erfahren. Sein Interesse galt der Galerie an sich, diesem
ehemaligen Lagerhaus, das zu einer Galerie für zeitgenössische Kunst
umgebaut wurde. Er sah Maria an und stellte eine erste Frage, woraufhin
der Dialog begann. Otgo stellte Fragen zur Galerie, zu den Künstlern,
die hier ausstellten, zu möglichen Partnerschaften. Er wollte wissen,
ob es für ihn möglich wäre, in dieser Galerie auszustellen.
Zunehmend an diesem Besucher interessiert, der so anders war als alle
anderen, hörte ich zu, während ich meine Arbeit fortsetzte. Ich
erinnere mich, dass ich den Künstler sofort mochte. Sein Blick hatte
etwas sehr Sanftes und Menschliches an sich. Er konnte zuhören, zeigte
anderen gegenüber Interesse, antwortete und argumentierte, wenn dies
angebracht war. Ich spürte, dass eine positive und strahlende Energie
von ihm ausging. Er stellte sich kurz vor, ohne pompöse Firlefanz, und
interessierte sich dann für Maria, ihren Beruf und ihr Studium, und
das erschien mir fantastisch. Im Gegenzug erzählte ihm meine Kollegin
von der Galerie, dem Besitzer und führte ihn ein wenig herum. Ich
arbeitete weiter und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie sich
umherbewegten. Da der Besitzer der Galerie an diesem Tag nicht anwesend
war, waren Verhandlungen nicht wirklich möglich. Daher ließ er nach
den Erklärungen seine Karte liegen, bedankte sich und ging. Es wurde
wieder still in der Galerie und die Routine nahm ihren Lauf.
Valletta, Malta
Ich
war neugierig und beschloss, mir die Karte anzusehen, die er
hinterlassen hatte. Diese war dünn und elegant. Auf der linken Seite
war ein kleines Symbol eingraviert, das Symbol der Mongolei. Das alles
erschien mir unglaublich und unwahrscheinlich zugleich. Unglaublich,
weil Ogto ein anerkannter Künstler war und schon lange von seiner
Kunst leben konnte, aber auch, weil er der Chefkurator des Nationalen
Kunstmuseums der Mongolei war. Unwahrscheinlich, denn wenngleich eine
Galerie ein günstiger Ort ist, um Künstlern zu begegnen, sind
mongolische Künstler selten zu treffen.
Um ehrlich zu sein, wusste ich so gut wie nichts über die Kunst dieses
Landes. Die einzigen Dinge, die mir in den Sinn kamen, waren wilde
Pferde, Jurten, Krieger und riesige Steppen. Kurz gesagt, flüchtige
und sehr begrenzte Abbilder. Da ich mich ein wenig für das wenige
Wissen, das ich besaß, schämte, beschloss ich noch am selben Abend,
über die Kunst und Geschichte des Landes zu recherchieren.
Dieser Hunger nach Wissen und Entdeckung ist eine der schönen Folgen,
die sich aus einer unvorhergesehenen Begegnung ergeben. Er bringt uns
dazu, unseren Horizont zu erweitern, aufgeschlossener zu sein und aus
unserer kleinen Bequemlichkeit herauszukommen, um uns auf ein Abenteuer
einzulassen. Und genau das habe ich getan. Nach ein paar Tagen
beschloss ich, Otgo eine E-Mail zu schreiben, in der Hoffnung, dass er
einem Treffen mit der bescheidenen Kulturmanagementstudentin, die ich
war, zustimmen würde. Seine Antwort ließ zu meiner Überraschung nicht
lange auf sich warten. Während ich auf diese wartete, hatte mein Geist
bereits begonnen, sich einen tief komplexen, hochgebildeten und
vielbeschäftigten Menschen vorzustellen, ein Bild, das sich
schließlich als höchst unwahr herausstellen sollte, wie ich es
herausfinden sollte. Nach einigen E-Mails vereinbarten wir, uns auf
eine heiße Schokolade in einem Café zu treffen. Ein guter Ort dafür
war das Café mit dem süßen Namen "Sonntag in Schottland" (2).
Deren heiße Schokolade finde ich köstlich, sowohl dickflüssig als
auch cremig. Dies ist keineswegs ein Geschwafel in den Wind. Ich hatte
den Beweis, denn ich hatte sie vormals schon gekostet. Am großen Tag
kam ich als Erste an. Das Wetter war nicht gerade angenehm, also ging
ich schnell hinein. Außerdem ist das Café berühmt und es ist nicht
immer einfach, einen Platz zu finden. Oft braucht man eine gute Portion
Glück. Als
ich eintrete, bemerke ich, dass nur ein Tisch frei ist. Zielstrebig
dirigiere ich mich darauf los. Perfekt, ich habe den Tisch. Nun beginnt
eine Wartezeit, die in der Regel als sehr lang empfunden wird. Diese
Art des Wartens, bei der sich Stress und Aufregung vermischen. Die
Leute kommen rein, gehen raus, bestellen Kuchen und duftende Getränke,
und ich warte. Die Musik wiegt mich und ich schaue auf die Straße, wo
die Regentropfen fallen und die Passanten sich beeilen müssen. Etwa
zehn Minuten später öffnet der lang ersehnte ER die Tür des Cafés.
Otgo ist da.
Er setzt sich an den Tisch und ich danke ihm, dass er gekommen ist.
Nach einem kurzen Austausch beschließe ich, die heiße Schokolade zu
bestellen, die ich so sehr angepriesen habe. Pech, dass es an diesem
Tag .....keine mehr gab. Andere sind uns zuvorgekommen. Trotz aller
Widrigkeiten beschlossen wir, einen Tee und einen Kaffee zu bestellen,
denn letztendlich ist es egal, welches Getränk wir trinken, es ist
nicht der Kernpunkt. Wir können aus Plastikgläsern trinken und
vollkommen glücklich sein, genauso wie wir mit Kristallgläsern und
Champagner ganz unglücklich sein können. Und wie meine Mutter mir
einmal sagte: "Wenn zwei Menschen gut
beisammen sind und es eine gute Verbindung zwischen ihnen gibt, dann
kann über alles gelacht werden, sogar über Tee". Wie dem auch sei, an diesem Tag bestätigte sich mein erster Eindruck.
Wie schon bei seinem Besuch in der Galerie war Otgo höflich,
aufmerksam, freundlich und respektvoll. Er beantwortete meine vielen
Fragen, ohne mit der Wimper zu zucken, und genoss es, über seine
Arbeit zu sprechen. Ich hörte ihm aufmerksam zu und hatte das Gefühl,
dass meine Seele im Laufe des Dialogs allmählich reicher wurde. Er
erzählte mir lange von seinem Heimatland, der Mongolei, von seinen
Anfängen als Künstler, von seiner Reise durch sein Land, um die
traditionelle Malerei zu erlernen und eingehend zu studieren, und von
der Zeit, die er der Auswahl und Herstellung seiner eigenen Farben auf
traditionelle Weise widmete. Er war bei allem, was er tat, mit dem
Herzen dabei und das war auch in seinen Worten spürbar. Als das
Gespräch weiterging, zog eine Sache meine Aufmerksamkeit immer mehr
auf sich: Otgos Augen. Seine Augen schauen immer auf das, was um ihn
herum passiert. Er ist immer wachsam, als wolle er einen Blick auf
seine nächste Inspirationsquelle erhaschen, als wolle er sein
nächstes Modell oder neue Ideen für seine Gemälde finden. An
bestimmten Momenten hatte ich das Gefühl, dass etwas passieren würde
und dass ein Störfaktor unsere Diskussion beenden würde. Auch ich
wurde in Alarmbereitschaft versetzt und wartete darauf, dass dieses
"Etwas", das ich nicht kannte, eintrat.
Sehr oft wollte ich wissen, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte, was
er dachte, an wen oder was. Aber ich bekam nie eine Antwort, weil ich
mich nicht traute zu fragen. Ich begnügte mich einfach damit, ihn
schweigend zu beobachten und das Geheimnis ganz zu bewahren. Und es
liegt auch etwas Schönes im Rätsel, im Nichtwissen, im Bewahren des
Geheimnisses. Ich glaube aufrichtig, dass wir Situationen brauchen, die
wir nicht erklären können, wir brauchen Geheimnisse.
Das ganze Leben kann ein Mysterium sein, und Paulo Coelho veranschaulicht dies gut in seinem Buch Brida: "Wir
sind verlorene Reisende auf einem Meer, das wir nicht kennen. Möge
Gott in uns immer den Mut bewahren, dieses Geheimnis zu akzeptieren".
Ich sehe Künstler und Autoren als Menschen, die einer eigenen Welt
angehören, einer Welt, die unantastbar ist und sich vom Rest
unterscheidet. Vielleicht, weil ihre Seele einen stärkeren Geschmack
für Freiheit hat? Für mich befinden sie sich zwischen zwei Welten.
Sie sind noch nicht Teil des Himmels, aber sie sind schon nicht mehr
auf der Erde. Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach anders.
Ich glaube, wir haben uns mehr als anderthalb Stunden in diesem Café
aufgehalten. Die Zeit vergeht immer extrem schnell, wenn der Moment
angenehm ist, und umgekehrt so langsam, wenn wir nicht glücklich sind.
Ich bin nicht die Einzige, die sich gefragt hat, warum das so ist. Es
scheint auf den ersten Blick ungerecht, aber vielleicht können wir so
verstehen, ob uns ein Moment glücklich gemacht hat oder nicht. Unsere
Verabredung verging wie im Flug. Otgo sorgte immer dafür, dass meine
Teetasse gefüllt war. Ohne zu warten und ohne, dass ich es wirklich
merkte, füllte er sie schnell, wie ein Zauberer. Als wir das Café
verließen, war es bereits dunkel. Die Weihnachtsdekorationen, die am
selben Morgen aufgehängt worden waren, erleuchteten die Stadt in
tausend Farben und eine maltesische Krippe
war im Herzen der Stadt aufgestellt worden. Eine festliche Atmosphäre
erwärmte die Herzen der Passanten und Besucher. Zu dieser Zeit durch
Valletta zu schlendern, ist wie im Märchenland. Die Malteser lieben
und wissen es, ihre kostbare Hauptstadt zu beleuchten, und genau das
wollte ich Otgo an diesem Abend zeigen, bevor ich nach Hause ging.
Valletta, Malta
(1) - Valletta Contemporary, Valletta, Malta
(2) - Sunday in Scotland, Valletta, Malta Otgos künstlerisches Erbe ist umfangreich und vielfältig. Dennoch
kann man in jedem seiner Werke eine Verbindung zur Mongolei finden, wie
eine Anspielung auf das Heimatland des Künstlers. In seiner
Anfangszeit konzentrierte er sich stark auf die traditionelle
mongolische Kunst und insbesondere auf die Thangkas, Miniaturmalereien
von Buddha. Diese Werke sind außergewöhnlich und sehr spirituell. Sie
sind viel mehr als nur die Darstellung einer Gottheit. Wenn man einen
Thangka ansieht, ruft man die dargestellte Gottheit herbei. So entsteht
eine unsichtbare Verbindung zwischen ihr und dem Betrachter, welche die
Seele zur Ruhe kommen lässt. Otgo erzählte mir ausführlich von
seinen Thangka- Malereien, von der Zeit und der Geduld, die er
brauchte, um jedes kleine Werk zu vollenden, aber auch von der langen
Reise, die er unternommen hatte, um den traditionellen Stil zu
erlernen. Jede Gestaltung beginnt mit einem Umriss, der nach sehr
kodifizierten und genauen Regeln erfolgt, und endet mit dem Malen. Auch
die Vorbereitung der Farben ist langwierig und heikel und erfordert
Bestandteile mineralischen oder pflanzlichen Ursprungs.
Jedes Gemälde ist gleichzeitig eine Fleißarbeit und eine Meditation.
Der Maler setzt sich hin, beruhigt seinen Geist und seine Seele und
beginnt sein Werk, langsam, Schritt für Schritt. Nichts darf ihn
stören. Nur die Stille ist sein Begleiter. Otgo erklärte mir, dass er
stundenlang malen kann, ohne seine Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Mit dem Beginn eines Gemäldes wird eine besondere Atmosphäre
geschaffen, die nicht gestört werden darf, da sonst die tiefe
Verbindung zwischen dem Künstler und seinem Werk verloren geht. Es
gibt keine zweite Chance, dieses muss in einem Zug erfolgen.
Der Rest von Otgos Arbeit ist, obwohl anders, sehr tiefgründig. Eines
der Dinge, die ich an seinen Bildern am meisten mag, sind die
leuchtenden Farben, die er verwendet. Seine Bilder sind sehr intensiv
und strahlend. Für mich erscheinen sie wie eine wahre
Initiationsreise, eine erwachende Meditation. Wenn Sie mir nicht
glauben, betrachten Sie seine Werke und Sie werden sehen, Sie werden
verstehen. Die Serie der Roaring Hoofs
ist ein gutes Beispiel dafür. Man muss sie bewundern, sich von der
Außenwelt abkapseln und in das Innere der Bilder eintauchen. Nach einer
Weile hört man die Hufe der Pferde und ihr Atmen.
Man sieht den Staub aufsteigen und wird von der Bewegung und dem
endlosen Rennen der Pferde in den riesigen und freien Ebenen der
Mongolei mitgerissen. Dieses Rennen hat keinen Anfang und kein Ende.
Wie der Wirbel des Lebens bewegt es sich vorwärts. Jedes Ding hat
seinen Platz. Auf der Leinwand wird keine Lücke gelassen. Der gesamte
Raum ist ausgefüllt. Otgos monumentalstes Werk, My
homeland, My steed,
befindet sich im Best Western Premier Tuushin Hotel in Ulaanbaatar.
Auch hier lassen die Pferde nicht auf sich warten. Sie scheinen fast
einer Höhlenmalerei entsprungen zu sein. Die ganze Leinwand ist
gefüllt und man folgt dem Strom, indem man sich von der
unaufhörlichen Bewegung wiegen lässt. Wenn man sie aus der Ferne
betrachtet, tauchen neue Figuren und Landschaften auf. Das Werk wird so
zu einem riesigen Spielplatz für die Fantasie. Zurag-66 Tengis
bleibt mein Lieblingsbild aus dieser unglaublichen Serie. Während ich
es betrachte, sehe ich, wie es zum Leben erwacht. Die Pferde verwandeln
sich in Wellen und bewegen sich ungebunden.
Die zweite interessante Sache sind die Details. Die Arbeit, die Otgo
leistet, ist minutiös, es ist eine Titanaufgabe. Je näher man an das
Werk herankommt, desto lebendiger wird es. Wie aus dem Hut gezaubert
tauchen dann Details auf, die die Augen zwingen, immer wachsam zu sein,
auf der Lauer zu sein. Dies ist besonders in Blue Horses, Hun, Human,
Zurag 63oder noch in Paradise in
miniature
zu erkennen. In letzterem ist die Szenerie besonders üppig, fast
psychedelisch und vermittelt den Eindruck, sich in einem Garten Eden zu
befinden, den sich der Schöpfer ausgedacht hat. Wenn man sich nähert,
tauchen kleine Figuren auf: Manchmal sind ihre Posen erotisch, manchmal
ist es, als würden sie tanzen. Die Verzauberung ist sofort spürbar.
Dieses Gemälde weckt den Wunsch, in das Innere des Kunstwerks
einzutauchen, um die Geheimnisse dieses Ortes zu entschlüsseln und
dort für einige Augenblicke zu verweilen.
Neben den Menschen bevölkern auch andere Wesen Otgos Werke: Tiger,
Affen, Pferde, verschiedene Vögel... Ich denke, es ist die tiefe
Verbindung zwischen allen Lebewesen, die dadurch hervorgehoben wird.
Triptych: AMITAN-1
lässt jeden beliebigen Betrachter in ein echtes Wasserballett
eintauchen, in dem Fische, Vögel, Menschen und Tiere in völliger
Harmonie zusammenleben. Die Wesen tanzen, schwimmen und ihre Seelen
wirken leicht. Dieser Zusammenhalt und diese Harmonie aller Dinge sind
auch in Shine amidral -2 zu finden. In Fly & Fly,
einem weiteren Gemälde von beeindruckenden Maßen, fliegen Menschen
neben vielen Vögeln. Die Krümmung ihrer Körper lässt vermuten, dass
sie selbst zu Vögeln geworden sind. Sie sind glücklich und frei wie
der Wind. Sie scheinen so leicht wie Federn zu sein, so leicht wie
Seelen. Kein Käfig, weder materiell noch psychologisch, hält sie
fest. Dieses Bild strahlt einen großen Frieden aus, der einen nicht
gleichgültig lässt.
Wir könnten uns darin verlieren und von derselben Freiheit träumen,
die der Zeit entrissen wurde. Meiner bescheidenen Meinung nach spricht
Otgos Arbeit die Sinne und Emotionen an, vorausgesetzt man nimmt sich
die Zeit, das Werk wirklich zu betrachten und darin einzutauchen. Auf
diesem kontemplativen Weg haben seine Werke die Fähigkeit, die Zeit
anzuhalten, indem sie uns sanft und poetisch in eine andere Welt
entführen. Die Welt des Künstlers.
In Gigantopithecus,
einem seiner neuesten Werke, vermischen sich die Lebewesen mit einer
üppigen Natur. Wenn man in das Bild eintaucht, kann man die Geräusche
des Dschungels, den wehenden Wind, die singenden Vögel und die
verschiedenen Tiere, die zusammenleben, hören. Otgos eigene Gesänge, traditionelle mongolische Lieder,
tauchen aus der Erinnerung wieder auf. Alles nimmt nun einen mystischen
Charakter an und die Reise zu dem tiefsten Selbst beginnt. Wir werden
dahin geführt, wo die Zeit keinen Einfluss mehr hat.
Wie viele andere Künstler malt Otgo auch die brennende Aktualität,
die Freuden und Leiden der heutigen Welt. Auf seine Weise schildert er
die Realität des Lebens auf der Erde. Der Künstler, der Maler und der
Dichter sind stille Zeugen der Wirklichkeit. Wenn wir in die
Vergangenheit blicken, stellen wir fest, dass unser Leben von der
Krankheit geprägt war, die den gesamten Planeten heimgesucht hat. Wie
ein Sandsturm drang sie blitzschnell in ganze Länder ein. Daraufhin
brach das Chaos aus. Um diese Realität auf seine Weise darzustellen,
schuf Otgo The Secret Matrix of Coronavirus und später Triptych: The Last
Supper.
Durch diese Werke stellt er auf großartige Weise die komplette
Lebensumwälzung mit dem Virus dar. Ein Riesenkrake verschlingt die
Menschen und lässt sie leblos zurück. Es handelt sich fast um einen
Aufenthalt in der Hölle. Wenn man sich ein wenig mehr konzentriert,
kann man eine kleine, beängstigende oder teuflische Musik hören, mit
Schreien, Weinen und Lachen. Die einen schlemmen, die anderen sterben. Galleys of Souls
hingegen behandelt das Thema der Sklaverei. Die Menschen werden wie
Körper gestapelt, denen man die Seele aus dem Leib gerissen hat. Die
Hölle ist genauso präsent, aber die Gefühle sind anders: Das Tempo
ist langsam, das Klima ist kalt und die Agonie der Sklaven ist greifbar.
Meiner Meinung nach laden Otgos Werke jeden Betrachter dazu ein, in
sich selbst zu reisen, in die Tiefen der Seele, wo alles möglich ist,
wo sich alles vermischt, um das Ganze zu erschaffen. Sie laden zur
stillen Kontemplation, zum Träumen und zur Poesie ein. Sie öffnen
eine neue Tür und regen dazu an, nach innen zu gehen und sich auf ein
Abenteuer einzulassen.
Das Leben ist letztendlich sehr schön. Es allein macht Begegnungen wie
diese möglich, in einem Moment, in dem man sie nicht erwartet. Ich
danke Otgo unendlich für seine Zeit, seine Freundlichkeit und sein
einfühlsames Zuhören. Ich hoffe, dass er eines Tages sehen wird,
welch großen Respekt ich vor ihm habe.
À mon sens, les œuvres d’Otgo invitent toute personne qui les
contemple à voyager en elle-même, au fin fond de son âme, où tout
est possible, où tout se mêle pour créer le Tout. Elles invitent à
la contemplation silencieuse, à la rêverie et à la poésie. Elles
ouvrent une porte nouvelle et incitent à entrer à l’intérieur et à
partir à l’aventure. La vie est finalement très belle. Elle seule
rend possible les rencontres comme celle-ci, au moment où l’on ne s’y
attend pas. Je remercie infiniment Otgo pour son temps, sa gentillesse
et son écoute empathique. J’espère qu’un jour, il verra, le grand
respect que j’ai pour lui.
Maryna
Magnin. Am 8. März 2022
Paradise -7 by OtGO 2002, Tempera on cotton 30 x 21 cm
Poème
J’entends
les bruits saccadés
J’entends l’appel de la steppe La
liberté m’enveloppe et me réveille
En m’affranchissant de ma peine
Le
vent n’est plus mon ennemi
Je sens son souffle dans mes oreilles
Venant de loin, il me ramène
Des chants profonds et éternels
Des
chevaux courent dans les vastes plaines
Leur course n’a ni début ni fin Sans
harnais ni épaisses chaînes Ils
voyagent jusqu’aux confins du temps
Ô ma douce
liberté
Descends de ton royaume étoilé
Et permets moi de faire durer
Ce bonheur retrouvé À
propos de Roaring Hoofs - 31